Klangrausch - unplugged

Goldene Regeln für Konzertsaal und Oper

 

Nicht alle Menschen hatten das Glück, schon in jungen Jahren von verständnisvollen Eltern oder Lehrpersonen zu Opern- und Konzertbesuchen mitgenommen zu werden. Deswegen wissen sie nichts über rücksichtsvolles Verhalten im Konzertsaal. Das ist für die Gesellschaft im Biotop "Live-Musik unplugged" zuweilen ziemlich nervig, denn die meisten gehen aus Begeisterung für die Musik zu solchen Veranstaltungen. Ein glückender und beglückender Kunstgenuss setzt - neben einer guten Aufführung - auch beim Publikum Konzentration voraus. Damit diese nicht gestört wird, gebe ich hier einige Tipps zum Besten. Das eine oder andere mag Ihnen lächerlich vorkommen, aber diese Hinweise beruhen - leider! - alle auf eigenen Erfahrungen.

 

Konzertsäle und Opernhäuser haben, wenn der Architekt sauber gearbeitet hat, eine gute Akustik, das heißt, was auf der Bühne gespielt oder gesungen wird, ist im ganzen Raum gut bis ausgezeichnet zu hören. Schließlich wurde dieser Raum für die Aufführung musikalischer Werke gebaut, die ohne Mikro und Verstärker auskommen (unplugged!). Die gute Hörbarkeit funktioniert nicht nur von der Bühne bis in die letzten Sitzreihen, das Ganze gilt natürlich auch für die umgekehrte Richtung, von der unmittelbaren Nachbarschaft ganz zu schweigen. Deshalb: Bitte unterlassen Sie alles, was das Mitpublikum und die Musikerschaft stören könnte! Vor allem:

 

Emittieren Sie keine Geräusche! Im Konzert und in der Oper steht dieses Privileg allein und ausschließlich den Menschen auf der Bühne und im Orchestergraben zu.

 

Das bedeutet:

 

Überlegen Sie sich bitte, ob Sie mit einer mittelschweren Erkältung und bellendem Husten wirklich in eine unplugged-Musikaufführung gehen müssen. OK, Sie haben sich auf den Abend gefreut, eine Menge Geld ausgegeben und Tabletten eingeworfen, damit Sie das Ganze irgendwie überstehen. Aber: Sich gefreut und Geld ausgegeben haben die anderen im Saal auch. Und für die ist es nicht nett, wenn sie durch Huster und Nieser gestört und von Bazillen und Viren umnebelt werden. Ganz abgesehen davon soll es sensible Musikerinnen und Musiker geben, die sich in ihrer Konzentration empfindlich gestört fühlen, wenn sie den Eindruck haben, allein vor einem ganzen Zauberberg von Lungenkranken zu sitzen oder zu stehen.

 

Ich gestehe, dass ich auch schon, gedopt bis an die Haarspitzen, ziemlich erkältet im Konzert saß. In solch einem Fall versuche ich, alle einschlägigen Lärmquellen auszuschließen. Taschentücher nicht in der Plastikhülle, am besten gleich in der Jackentasche transportieren, Halspastillen und Hustenbonbons ausgewickelt und im kleinen Tupperdöschen mitbringen, das lässt sich leise öffnen und schließen, Handtasche ohne Klirrfaktor (Henkel aus Kettengliedern) ... Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist die Beobachtung eines jungen Kollegen: Langsam ausgewickelte Bonbonpapierchen knistern keineswegs leiser als beherzt gezogene, die Störgeräusche dauern nur länger. Außerdem haben die anderen Konzertbesucher Zeit, ihre Aufmerksamkeit auf das Knistern zu fokussieren, wenn die Prozedur zu lange dauert. Von meiner Freundin Christine habe ich noch einen Tipp: Hustensaft in Flachmann füllen und ab und zu ein Schlückchen trinken. Die verwunderten Blicke Ihrer Nachbarn können Sie aushalten!

 

Ultranervig weil eigentlich leicht vermeidbar sind die immer wieder losdüdelnden Handys und Smartphones. Da können die Veranstalter Hinweise in Schrift und Ton bringen, so oft sie wollen: Irgendwo bimmelt es garantiert. Und das ist seeeehr gut zu hören, vor allem, wenn auf der Bühne in Mahler-Liedern dem edlen Weltschmerz gehuldigt wird und bei Ihnen "We are the champions" losgeht. Lassen Sie die Dinger am besten im Auto oder ganz zuhause, dann können Sie das Stummstellen schon nicht über den Smalltalk mit der freundlichen Sitznachbarin vergessen. In einigen Häusern ist schon eine Anlage installiert, die Handysignale blockiert, zum Beispiel im Badischen Staatstheater. Im Festspielhaus Baden-Baden und in kleineren Sälen gibt es das noch nicht, leider.

 

Vor der Jahrtausendwende waren es übrigens die Digitaluhren, die zu jeder vollen Stunde zuverlässig lospiepsten und für Unruhe sorgten. Neulich habe ich gelesen, die Dinger kommen jetzt wieder in Mode. Bitte nicht! Ebenso gehören die leise klickenden Handy-Tasten der Vergangenheit an. Ich habe gelernt, dass manche Menschen so wichtig sind, dass sie während eines Kirchenkonzertes dringende SMS verfassen.

 

Fotoaufnahmen im Konzertsaal und in der Oper sind in der Regel verboten, außerdem stören sie massiv. Ich frage mich immer, worin der Reiz von unscharfen "Weitschüssen" mit dem Smartphone liegt.

 

Jetzt zähle ich noch eine Reihe von Geräuschen auf, die ich im Konzertsaal und in der Oper schon gehört habe und auf die ich gerne verzichte:

 

Klirrenden Schmuck, zum Beispiel Armreifen und -ketten, egal ob aus Plastik oder aus Platin.

 

Perlenhalsketten und Gliederketten jeder Art, von nervösen Fingern zum Klackern gebracht.

 

Lose klimpernde Münzen in der Sakkotasche, rhythmisch in Bewegung gehalten.

 

Schuhe mit Kreppsohlen, von nimmermüden Beinen regelmäßig, bisweilen im Takt, auf jeden Fall aber knirschend über den Boden gezogen.

 

Schnarchen. Schlafen ohne Lärm ist in Ordnung, so lange Sie nicht vom Sitz rutschen oder Ihr Kopf auf Nachbars Schulter sinkt.

 

Schwätzen. Manche Menschen importieren das kontinuierliche Kommentieren vor dem häuslichen TV-Gerät in den Konzertsaal und merken nicht mal, was sie tun. Absolut schrecklich für die Umgebung und für die Quasselstrippe, weil sie sich selbst aus der Gemeinschaft der Musikliebhaber ausschließt.

 

Und jetzt das schwierigste Kapitel von allen: Applaus unter besonderer Berücksichtigung des Zwischenreinklatschens beziehungsweise des Klatschens an ... nun ja ... unkonventionellen Stellen. Schwierig deshalb, weil man schon eine ganze Menge über Musik, Musikgeschichte und musikalische Gattungen wissen muss, um immer richtig zu liegen mit dem Impuls, der Begeisterung über das gerade Erlebte jetzt und sofort Ausdruck zu geben. (Vielleicht ist es ja auch nur der Wunsch, es möge endlich, endlich enden ...)

 

Hier empfehle ich dringend Zurückhaltung.

 

Wenn die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne stehen oder sitzen, hilft ein Blick auf die Körperhaltung. Wenn sie oder er die Spannung aufgibt, also irgendetwas sinkt - Taktstock, Instrument, Kopf, Schultern -, dann ist wahrscheinlich der richtige Moment zum Applaudieren gekommen. Pianisten hingegen stehen auf. Ich habe ja gleich gewarnt, schwieriges Kapitel.

 

Wenn Sie nicht ganz sicher sind, warten Sie doch einfach, bis andere mit dem Klatschen beginnen. Wenn viele, viele mitklatschen, ist das mit ziemlicher Sicherheit die richtige Stelle. Das ist die Feingold-Regel meiner goldenen Regeln.

 

Und: Seltener und dafür länger klatschen ist meistens mehr.

 

In der Oper finde ich es schöner, wenn der dramatische Fluss nicht durch Klatschen unterbrochen wird. Außer bei richtig langweiligen Inszenierungen, da bin ich froh, wenn ich geweckt werde. Ihrer Lieblingssängerin können Sie auch nach dem Vorhang ausgiebig zujubeln, und auch für Buhrufe ist dann genügend Zeit. Außerdem wird es, musikhistorisch betrachtet, ab dem 19. Jahrhundert tückisch: Szenen und Arien werden mehrteilig, der Überblick schwieriger, und nach mancher Stretta geht es doch noch weiter.

 

Arienabende sind für mich künstlerische Wechselbälger, bei der die Stimme und nicht das musikalische Drama zählt. Da gehört regelmäßiges Applaudieren - nach jedem Stück - zum guten Ton.

 

Wenn Sie in Liederabenden nach jedem Lied klatschen, wird das Konzert doppelt so lang, aber sicherlich nicht vergnüglicher. Üblich ist es, nach den Liedgruppen zu applaudieren, die Liedgruppen sind im Programmheft aufgeführt.

 

Bei Oratorien wird am Ende applaudiert. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Die Passionsaufführungen. Vor allem an Karfreitag bitten manche Chöre darum, von Beifallsbekundungen Abstand zu nehmen. Das steht dann im Programmheft. Bei Zuwiderhandlung kann es passieren, dass die Applaudierenden ausgezischt werden.

 

Nun zur sinfonischen und Kammermusik.

 

Instrumentalkonzerte - das sind die Dinger, bei denen vor dem Orchester ein oder mehrere SolistInnen stehen oder sitzen - sind dreisätzig, Sinfonien haben vier Sätze. Meistens jedenfalls. Manchmal gehen Sätze attacca, das heißt, ohne Pause, ineinander über. Zwischen diesen Sätzen wird nie, nie, nie geklatscht. Nie. Zumindest nicht in Mitteleuropa, und in anderen Erdteilen habe ich noch keine Sinfoniekonzerte besucht. Schauen Sie in den Konzertführer oder ins Programmheft, und versuchen Sie, den Überblick zu behalten. Meistens macht das Orchester zwischen den Sätzen eine kleine Pause, und der Dirigent wischt sich den Schweiß von der Stirn, vor allem die Streicher stimmen kurz ihre Instrumente nach - nein, halt, lassen Sie die Hände im Schoß oder auf der Armlehne, es geht gleich weiter! Nach dem letzten Satz eines jeden Werkes, der meistens schneller und manchmal lauter als die vorherigen ist, dürfen Sie Ihrer Begeisterung Luft machen. Klatschen Sie, trampeln Sie, pfeifen Sie, rufen Sie laut Bravo, erheben Sie sich zu Standing ovations, überreichen Sie den Künstlern Blumen ... Doch wenn der Applaus der Solistin oder dem Solisten des Instrumentalkonzerts galt, könnte es sein, dass sie oder er noch eine Zugabe in petto hat. Dann setzen Sie sich wieder hin, lauschen der Musik und entlassen sie oder ihn nach angemessen überschaubarem Zugaben-Applaus in den wohlverdienten Feierabend.

 

Bei Klavierabenden und Kammermusikkonzerten mit klassischem, romantischem und modernem Repertoire gelten ähnliche Regeln. Irgendwie ist es bei diesen intimeren Gattungen einfacher, die Säle sind nicht so groß, Künstler und Publikum sind sich näher, und so kommen Applaudierpannen weit seltener vor als in Sinfoniekonzerten.

 

Auch bei Alter Musik - alles, was vor Haydn, Mozart und Beethoven komponiert wurde - helfen die Feingold-Regel und der Blick ins Programmheft. Die Vielfalt der musikalischen Gattungen und Formen ist groß, und ob so eine Suite oder eine Partita vier, sechs oder sieben Sätze hat muss niemand auswendig wissen.

 

Jetzt atme ich noch einmal tief durch, denn das, was ich jetzt schreiben muss, gefällt mir selbst nicht. Eigentlich möchte ich in diesem Blog für Musik begeistern, meine Freude daran mitteilen, Menschen für unplugged- und live-Konzerte interessieren. Aber raus muss es doch: Wenn Sie sich sicher sind, dass die sogenannte Ernste Musik, die doch so oft so heiter ist, langweilig und nichts für Sie ist, wenn Sie nicht mindestens zwei Stunden lang in einem engen Sitz, auf einer harten Kirchenbank und manchmal auch in schlechter Luft konzentriert ausharren, wenn Sie Ihren Mitteilungsdrang nicht bezähmen können, dann ist es möglicherweise besser, Sie suchen sich ein anderes Hobby. Das ist schade für Sie, aber ein Segen für die echten Musikliebhaberinnen und -liebhaber, die sich an ungestörten Aufführungen erfreuen können.

 

 

Ein Leben ohne Musik ist möglich, aber sinnlos!