Margarete Schweikert

Kindheit

Familie Schweikert 1895 in Eckernförde, Badische Landesbibliothek
Familie Schweikert 1895 in Eckernförde, Badische Landesbibliothek

Margarete Schweikerts Leben fing so gut an: Sie wurde am 16. Februar 1887 in Karlsruhe geboren. Sie blieb das einzige Kind ihrer Eltern Luise geb. Petry und Friedrich Schweikert. Der Vater, Angestellter einer Karlsruher Versicherung, der sich nebenbei als Musikjournalist betätigte (Neue Stuttgarter Musikzeitung und Karlsruher Blätter), gab Margarete ersten Violinunterricht. Die Großmutter und Tante Emilie führten das Juweliergeschäft Jakob Petry der mütterlichen Familie (Kaiserstraße 102, heute Karstadt Sport), die resoluten, tatkräftigen Frauen der Familie Petry sorgten für den Wohlstand der Familie. Theodor Munz, ein Schüler Heinrich Ordensteins, der vor der Jahrhundertwende sein eigenes Konservatorium gründete, war Zimmerherr der Schweikerts und erteilte Margarete ersten regulären Klavierunterricht.

Zu Hause wurde viel musiziert, die Mutter spielte Klavier, der Vater Geige, – gemeinsam „meist Mozart- oder Beethoven-Sonaten“ - und offensichtlich auch gesungen, denn als Vinzenz Lachner, der ehemalige Kapellmeister am Mannheimer Nationaltheater, zu Besuch kam, sang die Kleine ihm „Kommt ein Vogel geflogen“ vor. Außerdem spielte sie mit den Fingerchen auf der Tischplatt, was Lachner zu der Bemerkung veranlasste: „Ah, die wird einmal musikalisch, sie versucht ja schon Klavier zu spielen“. Und, tatsächlich, das Kind begann, sich die Welt der Klänge zu erobern: „Mutter war eine gute Klavierspielerin und von ihr lernte ich die ersten Griffe auf dem Klavier. Sehr bald klimperte ich selbständig allerhand aus ihren Noten herunter und schließlich holte ich mir Papier und Bleistift, zog Linien, jeweils einen halben Centimeter von einander und malte erbsengroße Noten hinein. Instinktiv baute ich sofort eine auftaktige Periode, rechte Hand Melodie, linke Hand Begleitung.“ „Mit zwölf Jahren schrieb ich mein erstes Lied, eine nicht ganz stimmungslose Melodie mit ein paar ungeschickt gesetzten Akkorden. Mein zweites, ein Frühlingslied, hatte schon die viel reifere Begleitung.“ (Erinnerungen)

„Achtjährig bekam ich meine erste 'halbe' Geige und Vater unterrichtete mich. Es existierte so irgend eine alte Violinschule von André und gleich in der ersten Stunde konnte ich mit Vater das Stück Nr. 1, die vier leeren Saiten in ganzen Noten, von der zweiten [Stimme] in Arpeggien begleitet, spielen. (…) In der Folge der Zeit bereiteten mir die Unterrichtsstunden bei Vater weniger Spaß, vermutlich deshalb, weil er mir ständig den Bogen führte, um mir das Handgelenk in starker Biegung heraus zu drücken. Das tut nämlich weh, und heute weiß ich, wie verfehlt das war.“ (Erinnerungen) Trotzdem machte sie rasch Fortschritte und spielte Sonntagvormittags die zweite Geige im Streichquartett.


In der Badischen Landesbibliothek liegen handschriftliche Erinnerungen Schweikerts, die bis ins Jahr 1912 reichen. Diese Memoiren sind sehr anekdotisch. Die Schilderungen lassen Rückschlüsse auf den sozialen Status der Familie, auf ihr Streben nach Bildung und „Höherem“, zu dem die Musik gehörte, auf die Erziehung der kleinen Margarete, ihr Talent und die Ambitionen der Eltern zu. Margarete blieb das einzige Kind von Luise und Friedrich Schweikert; den Hoffnungen, Wünschen und Ängsten der Eltern war sie also allein ausgesetzt. Der Topos des ganz besonderen, ebenso begabten wie schwierigen Kindes zieht sich durch die ganzen Erinnerungen. Es wird deutlich, wie stark das kulturelle und gesellschaftliche Leben Karlsruhes durch den badischen Hof geprägt war - immer wieder erzählt Margarete Schweikert nicht ohne Stolz von Begegnungen mit der großherzoglichen Familie.

Als Luise im achten Monat schwanger war, stürzte sie aus dem Küchenfenster (Margarete schrieb vom Küchenfenster, wahrscheinlich war Luise gerade beim Putzen und stand auf dem Fensterbrett). Es kam zu einer vorzeitigen Geburt, „und so“, kommentiert Margarete, „bin ich eines der berühmten schwer aufziehbaren Achtmonatskinder geworden“. „Tatsache war, daß ich oft krank war, meist Erkältungsgeschichten; wahrscheinlich hatte die überzogene Verpäppelung auch eine gewisse Anfälligkeit hervorgerufen.“ Die besorgten Eltern ließen Margarete nicht zum Turnunterricht, aus Angst vor Krankheiten durfte sie mit den anderen Kindern nicht einmal „Fangerles“ spielen. Darüber hinaus war sie wegen „Halsgeschichten“ jahrelang vom Gesangsunterricht dispensiert. Als Baby schon habe sie „sieben Krankheiten gleichzeitig“ gehabt, diese aber glücklicherweise überlebt: „Das gesunde Erbgut meiner Eltern wird wohl auch geholfen haben (außer dem Arzt), und wenn mir eine gewisse Zartheit der Konstitution auch geblieben ist, die sich namentlich im zweiten Jahrzehnt meiner Kindheit auswirkte.“


Margarete Schweikert anlässlich ihrer Konfirmation 1902, Badische Landesbibliothek
Margarete Schweikert anlässlich ihrer Konfirmation 1902, Badische Landesbibliothek

Ab dem Schuljahr 1898/99 besuchte Margarete als eine der ersten Schülerinnen das Munzsche Konservatorium . Bis 1905/06 erhielt sie dort eine breite musikalische Ausbildung in den Fächern Violine, Klavier, Komposition und möglicherweise auch Gesang - am 7. Juni 1905 sang sie in einem Schülerkonzert selbst drei ihrer Lieder: Im Schilf, Meine Geige und Der Page.

Auch das Programm der Mozart-Feier am 31. Januar 1906 des Munz'schen Konservatoriums belegt, dass sie zu diesem Anlass nicht nur drei Mozart-Lieder gesungen, sondern auch eine Gedächtnisrede, verfasst von H. Schweikert (richtig vermutlich F(riedrich) Schweikert), vorgetragen hat. Erste Aufführungen ihrer Kompositionen sind ab 1904 nachweisbar. 1906 wurde ihr 57. Psalm für Soli, Chor und Orchester am 14. Juli in einem Schülerkonzert des Munzschen Konservatoriums aufgeführt, am 24. Februar 1907 ein zweites Mal bei einer kirchenmusikalischen Feier des Instrumental-Vereins Karlsruhe in der Evangelischen Stadtkirche. Das war ein gesellschaftliches Ereignis, denn es waren Großherzog Friedrich I. und Großherzogin Luise von Baden und das Erbgroßherzogpaar anwesend.

Amüsiert und mit der Distanz der Erwachsenen berichtete Schweikert, dass ihre „kleine Gabe“, also ihr großes musikalisches Talent, sie ein wenig hochmütig gemacht hatte, so dass sie eines Tages in der Schule verkündete, sie sei „kein Durchschnittsmensch“. Das machte sie natürlich zum Gespött der Klasse, und „von da ab fühlte ich mich als verkanntes Genie“. - Den Eltern, die offensichtlich sehr um ihr begabtes Kind kreisten, war es nicht gelungen, ihre Tochter eine ganz normale Kindheit erleben zu lassen. - Zu diesem Thema gehört auch der Tic, nervöse Gesichtszuckungen, die Margarete Schweikert in den Erinnerungen auf die „zu große Nervenbelastung“ durch Schule und das Erlernen von zwei Instrumenten zurückführte. Obwohl sie eine gute Schülerin war, ging sie 1901 von der „Höheren Mädchenschule“ ab.


Die Badische Presse berichtete am 19. Juli 1906 von der Aufführung im Munzschen Konservatorium: „Weiter wurde ein von Margarete Schweikert für Solo, Chor und Orchester komponierter Psalm aufgeführt. Das dreiteilige, formal abgerundete Werk lässt eine schon fortgeschrittene Kompositionstechnik erkennen, die in den polyphon geführten und fugierten Stimmen unverkennbar zutage tritt. Die ungesuchte ansprechende Melodik im Verein mit der nie aufdringlichen, aber dennoch wirkungsvollen Instrumentation verleihen dem Psalm eine seinem Charakter entsprechende Stimmung.“ Auch die Badische Landeszeitung vom 16. Juli 1906 fand lobende Worte: „Jedoch das meiste Interesse beanspruchte Fräulein Margarete Schweikert als Komponistin. Die jugendliche Dame besitzt zweifelsohne ein starkes Talent. Der 57. Psalm für Chor, Solo und Orchester legt hiervon deutlich Zeugnis ab. Frl. Schweikert hat ihrem Opus eine klare sichere verständliche Struktur gegeben; dies deutet auf ein fleißiges Studium unserer Klassiker hin. Auch zeigt das Werk einen Melodienreichtum, der es äußerst stark belebt. Die Diktion ist keine hochmoderne, sondern sie hat zum Vorbilde unsere kirchlichen Werke, die man heute wieder zu neuem Leben auferstehen lassen will. Die Behandlung des Chores ist sehr beachtenswert. Die Stimmen sind geschickt gegen einander geführt und gesanglich gesetzt. Der fugenreiche Aufbau im Eingangschor ist sicher angelegt und zeugt von großer Erfahrung. Harmonische Gewalteffekte sind ebenfalls vermieden. Sehr geschmackvoll ist die Instrumentation behandelt, die stellenweise durchaus einwandfreie und wirkungsvolle Sätze aufweist.“ Zur zweiten Aufführung in der Evangelischen Stadtkirche bemerkte die Karlsruher Zeitung in ihrer Ausgabe vom 26. Februar 1907: „Die junge Tonkünstlerin hat mit dieser Arbeit eine beachtenswerte Talentprobe geliefert, die zu schönen Hoffnungen berechtigt.“